Als Astronaut hat er die Erde dreimal von oben gesehen.
Ulf Merbold über Siliziumkristalle, Schiller und seinen Job als Gärtner im Orbit.
(aus der Stuttgarter Zeitung)
Er
hat die Wissenschaft beschleunigt, die Entwicklung der Siliziumchips
und vor allem sich selbst. Dreimal raste er ins Weltall. Wir trafen Ulf
Merbold beim großen Fliegerwochenende auf der Hahnweide bei Kirchheim,
da war er gerade in einem Oldtimer-Flugboot um die halbe Welt gezuckelt.
»Journalisten«, klagte der Siebzigjährige, »sind gern da, wenn es
qualmt oder wenn etwas explodiert, aber für eine wissenschaftliche
Leistung über Jahre hinweg interessieren sie sich nicht.« Das konnten
wir nicht auf uns sitzen lassen.
Herr Merbold, was haben Sie in der Spacelab-Mission 1983 herausgefunden?
Daß
Darwin recht hatte. Dafür habe ich mich da oben im Spacelab als Gärtner
betätigt und mußte Sonnenblumen pflanzen. Wenn eine Pflanze auskeimt,
dann beschreibt der Trieb beim Wachsen eine Ellipse. Da gab es zwei
Theorien, die eine ging zurück auf Darwin, der sagte, das ist einfach
so. Die andere besagte, die Pflanze würde sich auf die Schwerkraft hin
immer wieder neu ausrichten und deswegen rotieren. Das ist über hundert
Jahre strittig gewesen. Wir haben Sonnenblumen im Weltall einmal unter
künstlicher Schwerkraft wachsen lassen und einmal ohne. Es kam raus,
Darwins Theorie stimmte.
Ist durch Ihre Arbeit ein Zweig der Technik vorangekommen?
Die
Herstellung von schnellen Siliziumchips. Damals konnte man noch keine
Silizium-Kristalle züchten, in denen Phosphor und Silizium gleichmäßig
verteilt waren. Das ist ein Qualitätsmangel. Die Frage war: Warum? Im
Weltall hat sich der Grund herausgestellt. Schuld war die
Oberflächenspannung in den geschmolzenen Substanzen, die an einer kalten
Stelle höher ist als an der warmen. Das führte zu einer Strömung und zu
einer ungleichen Verteilung.
Da müßte Ihr Team ja nobelpreiswürdig sein.
Das
Experiment ist ja unsere Aufgabe gewesen. Wir fanden auch heraus, dass
der in Wien geborene Ungar Robert Bárány den Medizinnobelpreis des
Jahres 1914 für eine Theorie bekommen hat, die nicht zu halten ist.
Báránys Erklärung für eine Augenbewegung, den so genannten kalorischen
Nystagmus, die dadurch stimuliert wird, dass ich einem Menschen das eine
Ohr kühle und das andere aufwärme, war falsch. Sie ist nicht
schwerkraftabhängig.
Im Spacelab wurden in zehn Tagen 72 Experimente gemacht.
Bei
unserem Flug haben wir im Schichtbetrieb rund um die Uhr gearbeitet.
Einer mußte das Shuttle fliegen, zwei waren mit den Experimenten
beschäftigt. Nach zwölf Stunden wurde eine Schicht abgelöst. Wir haben
wichtige Erkenntnisse in der Medizin, der Biologie, der Physik und der
Metallurgie gewonnen. Nur ganz wenige Experimente sind schiefgelaufen.
Da braucht man Nerven.
Wenn
irgendwas nicht funktioniert, heißt es immer: »Back to timeline -
zurück zum Zeitplan.« Wenn ein Experiment auf eineinhalb Stunden
angesetzt ist und etwas nicht geht, dann müssen Sie diszipliniert
abbrechen. Weil das Risiko besteht, für die gesamte Restmission einen
Dominoeffekt zu hinterlassen. Der Computerspeicher, der für das nächste
Experiment gebraucht wird, der muß frei sein. Und die Software vom
vorigen Experiment muß weg sein.
Kann man nicht doch noch etwas machen?
Man
versucht dann eine Neuplanung. Erst analysiert man das Problem, gibt es
ein Leck, gibt es einen Kurzschluß, gibt es einen Softwareabsturz? Es
kann ja hunderttausend Gründe haben. Dann versucht man eben in der noch
verbleibenden Zeit, das noch mal unterzubringen. Oft genug ist es dann
so, daß man den Astronauten fragt: »Könntest du von deiner Ruhezeit
etwas abknapsen?« Das wichtigste Ziel ist, das Gesamtergebnis zu
optimieren. Es kann nicht sein, daß man wegen eines schiefgelaufenen
Experimentes den ganzen Rest gefährdet.
Ich stelle
mir gerade einen reinen Theoretiker vor. Dem hätte ich nicht zugetraut,
einen Kurzschluß aus einem Trafo rauszukriegen. Welche Voraussetzungen
braucht man als Wissenschaftsastronaut?
Ich komme ja aus der
Experimentalphysik und habe zehn Jahre lang am Stuttgarter
Max-Planck-Institut bei tiefen Temperaturen Metalle erforscht. Wenn
beispielsweise ein Kurschluß in einem Netzgerät ist, dann läuft das
Experiment erst mal nicht. Dann lasse ich die anderen Experimente mit
einem anderen Netzgerät laufen, und dann baue ich das Netzgerät um und
versuche, soviel wie möglich noch zu machen. Ich war der Klempner, der
die Strippen gezogen hat.
Hatten Sie Angst vor ihrem ersten Flug?
Ich bin über 76 Puls nie herausgekommen.
Respekt.
Das,
denke ich, ist auch eine Qualität, die ein Astronaut braucht: daß er
unter viel Streß in der Lage ist, zielgerichtet zu agieren. Der erste
Flug, der ist emotional immer der schwierigste. Für mich war von
Vorteil, daß unser Kommandant der große John Young war, der zweimal zum
Mond geschickt wurde und den allerersten Shuttle-Flug gemacht hatte. Die
schwierigste Phase in allen drei Flügen ist die Warterei auf den Start
gewesen. Man liegt da rum, kann sich nicht mehr bewegen, man weiß, daß
andere, die sieben Kilometer weit weg sitzen, diesen Countdown
vorantreiben. Man kann sich ja fragen, warum die so weit weg sind.
Hat der Flug Ihre eigene Wissenschaftskarriere befördert?
In allen Disziplinen habe ich unheimlich viel dazugelernt. Wir haben allerdings die Auflage gehabt, nicht zu publizieren.
Das enttäuscht einen doch!
Es
ist aber auch nachvollziehbar. Sonst könnte ein Wissenschaftler auf der
Erde sagen, wenn du mein Experiment besonders gut machst, dann darfst
du mitpublizieren. Dann mögen die anderen denken, der Astronaut Merbold
kümmert sich um ein Experiment besonders intensiv zu Lasten eines
anderen. Ich habe dann aber noch eine kleine Nische gefunden und ein
paar Veröffentlichungen geschrieben: über die Störungen der
Schwerelosigkeit durch unsere Flugmanöver. Das war für viele Experimente
eine willkommene Zusatzinformation.
Was tut ein Astronaut, wenn er in Rente ist?
Ich
habe nicht aufgepaßt und viele Ehrenämter übernommen. Ich will noch ein
paar Semester Germanistik studieren. Das vertiefte Wissen über die
deutsche Sprache und die Literatur ist das, was mich noch interessiert.
Ich habe jetzt auch relativ viel Klavier gespielt. Das ist für einen
Wissenschaftler vielleicht auch eine Form, eine Balance zu kriegen
zwischen dem Rationalen und dem mehr Emotional-Kreativen.
Einstein war ein begeisterter Geiger.
Es gibt noch viele andere. Heisenberg beispielsweise war ein großer Pianist.
Was interessiert Sie an der Germanistik?
Ein
Dichter, der mich als Jugendlichen in der DDR-Zeit schon getröstet hat,
war Schiller, weil beim ihm die Gerechtigkeit obsiegt. Was hat er doch
für Spuren hinterlassen, und er ist nur 46 Jahre geworden!
Es gibt Menschen, die erlöschen einfach, weil sie ein ganzes Leben lang gebrannt haben.
Denken
Sie an die vielen Wendungen in der deutschen Sprache, die auf ihn
zurückgehen: Von der Stirne heiß / rinnen muß der Schweiß. Oder wenn man
sich Maria Stuart anschaut - was ist das für eine Psychologie!
In der Schule fand ich es sterbenslangweilig.
Sollten Sie mal wieder lesen.
Hat
sich durch diese eine Chance, unter 2000 Bewerbern für den ersten
europäischen Raumflug ausgewählt zu werden, ihr ganzes Leben verändert?
Ja
- uff - ja, das kann man schon sagen. Und wenn es mich nicht fasziniert
hätte, hätte ich keine weiteren Flüge unternommen. Weil ich eben die
singuläre Chance hatte, mich an vielen Stellen der Wissenschaft durch
die Grenzlinie durchzuarbeiten, die zwischen dem Bekannten und dem
Nichtbekannten liegt. Ich hatte fünf Angebote, an eine Hochschule zu
gehen, doch ich dachte, meine Erfahrung wäre in der Raumfahrt am
wirksamsten.
Sie hätten dann auch keine Fragen beantworten könnten, die die Menschheit weiterbringen.
Ich
denke mal: Was ich über mich sagen kann, ist, neugierig zu sein. Diese
Welt, die ist so farbig und interessant, daß die Stunden eines Tages
nicht ausreichen, allen Dingen nachzugehen, die mich interessieren.
Diese Neugierde für die Wissenschaft hat mich als junger Mensch dazu
gebracht, Thüringen zurückzulassen, weil ich unbedingt Physik studieren
wollte. Das war die schwierigste Entscheidung, die ich in meinem Leben
zu treffen hatte, da war ich 19. Das zweite aber, das mich nicht
kaltläßt und woran ich immer noch eine kindliche Freude habe, ist
Fliegen!
Können Sie von sich sagen, ein kleiner Schritt für mich und ein großer Schritt für die Menschheit?
Nein,
diese Lorbeeren die stehen mir nicht zu, die gehören denjenigen, die
sich die Experimente ausgedacht und die Organisatoren der ESA überredet
haben, sie im Spacelab durchzuführen.
(29.4.2012)
Mittwoch, 17. Mai 2017
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