Die Sphinx und die Cheopspyramide 1858
... und dann floh er bis zu den Pyramiden und noch weiter, statt wie andere nach England oder in die Schweiz. Wer? Albert Dulk.
Einer der deutschen Revolutionäre von 1848. 1819 kam er in Königsberg
zur Welt; seine Mutter entstammte der Verlegerfamilie Hartung. »Sie
wollte eigentlich Alberts Onkel heiraten, nur war dieser in der
Völkerschlacht von Leipzig gefallen. Weil sie aber nur einen Dulk und
sonst gar keinen haben wollte, ging sie zu dessen Bruder Friedrich, der
im Krankenbett mit dem Tode rang, und machte ihm einen Heiratsantrag.
Worauf Friedrich befand, es habe noch Zeit mit dem Sterben, mit Emilie
fünf Kinder zeugte und als Chemieprofessor fortan in Königsberg eine
Apotheke betrieb«, beginnt Ulrich Stolte das Leben des »Indiana Jones«
von Esslingen in der Stuttgarter Zeitung zu erzählen: Zwei Meter groß,
durchtrainiert, »ein härterer Kerl (...) als der Leinwand-Indy, ein
größerer Gelehrter und ein erfolgreicherer Frauenheld: Dulk gründete
1858 in Stuttgart mit seinen drei Frauen und sechs Kindern die erste
Kommune Deutschlands, er entwarf 1850 ein wasserstoffgefülltes
Luftschiff, er erfand das Freeclimbing, er durchschwamm als Erster den
Bodensee an seiner breitesten Stelle, und er wäre der erste deutsche
Rucksacktourist in Ägypten gewesen, wenn er nur einen Rucksack gehabt
hätte statt einer simplen schwarzen Kiste.«
Während
seines Militärdienst in Breslau und seines Chemiestudiums in Leipzig
hatte er Kontakte zu Hoffmann von Fallersleben, dem Dichter des »Lieds
der Deutschen«, und dem Berliner Kreis um Max Stirner, den »Philosophen
des Egoismus«.
Nach einer gemeinsam mit Robert Blum,
dem später in Wien Erschossenen, verfaßten und gehaltenen flammenden
Gedenkrede auf die Toten der Leipziger Unruhen mußte er Ende 1845
untertauchen, wobei ihm seine Freundin half, die Bankierstochter Pauline
»Ini« Butter.
Albert Friedrich Benno Dulk
1848/49
beteiligte sich der knapp Dreißigjährige aktiv in Königsberg an der
demokratischen Revolution - bis sie gescheitert war und Dulk fliehen
mußte. Die meisten flohen in die Schweiz, nach England oder Frankreich,
Carl Schurz verschlug es in die USA, und Albert Dulk plante, in Ägypten
als Französischlehrer zu arbeiten. Das nominell noch unter osmanischer
Herrschaft stehende, aber halbautonome Land begann sich zu
modernisieren; zugleich wuchs der Einfluß der aufstrebenden
Kolonialmächte England und Frankreich. »Er verließ 1849 seine mit dem
zweiten Kind schwangere Königsberger Frau Hannchen Dulk. In Italien
besuchter er noch einmal Ini, die [nach der Pleite der väterlichen Bank]
Gouvernante in Triest geworden war, und stand ihr bei der Geburt seines
unehelichen dritten Sohnes bei.«
Französischlehrer
konnte er nicht werden, denn kaum in Alexandria angekommen, verdarb er
es sich auch schon mit der dort lebenden europäischen Hautevolee. Dafür
begann er im Land umherzureisen: »Neun Stunden nördlich des
Katharinenklosters [auf der Halbinsel Sinai] ist eine öde
sonnendurchglühte Felswüste. [...] Richtung Osten thront, wie der Sitz
der Götter, ein großer Granitblock, in der Höhle darunter wohnt Albert
Dulk, schlägt sich mit Skorpionen und Schlangen herum. Und wenn ihm die
dauernden Besuche der Beduinen und die Schikanen der türkischen Behörden
Zeit lassen, dann schreibt er [Briefe, Tagebücher und seine erste
moralphilosophische Schrift.] Eines Tages, als es ihm langweilig ist,
turnt er wieder in den Felsen herum und erfindet das Freeclimbing. Er
nennt es ›spazieren klettern‹.«
Ein einheimischer
Führer nutzte einen nächtlichen Badespaziergang Dulks, um sich mit
dessen Habe davon zu machen und ihn dem Verdursten preiszugeben - doch
Dulk holte ihn und seine Kamele zu Fuß ein - und behielt ihn sogar als
Führer, wenn auch deutlich mißtrauischer als zuvor.
»Der
Tempel von Karnak beeindruckt den 30-jährigen Dulk schwer: Die hohen
Säulen sind ihm ›ein Wald von aufgerichteten männlichen Ruten‹, die das
Allerheiligste einschließen. (...) Er (...) turnt (...) auf das Dach des
Tempels von Dendera, im Pyramidenfeld von Daschur dringt Dulk in die
Grabkammern ein, Ströme von Fledermäusen kommen ihm entgegen, er zwängt
sich durch die Spalten, gelangt in eine große Kammer (...)(,) schreit
Worte und Verse gegen die Steine, die er später als Epos
niederschreibt.«
»Seinen perlenbestickten Tagebüchern
in der schwarzen Kiste hat er auch jenen Abend mit der berühmtesten Hure
Mittelägyptens anvertraut, Kuchuk Hanem, eine Damaszener Christin. Sie
hat etlichen Orientreisenden den Kopf verdreht, aber es ist Dulk, der
nun ihr den Kopf verdreht. Nachdem er ihren Nackttanz und noch mehr
genossen hat, will die Christin mit ihm nach Kairo und Assuan fliehen.
Dulk jedoch hat anderes zu tun und reist ab.
Drei Tage später, am
3. März 1850, ist ein schmächtiger Franzose bei Kuchuk Hanem. Gustave
Flaubert nimmt ebenfalls ihre Liebesdienste in Anspruch und beschreibt
ausführlich ihre anatomischen Vorzüge: ›Ihre Möse berührte mich mit
Samtpolstern‹, vertraut er seinem Tagebuch an. Bis heute wäre diese
Stelle aus Flauberts Tagebuch unentdeckt geblieben, wenn nicht Ilse
Walther-Dulk eine Kopie seiner Tagebücher aus Paris angefordert hätte
und auch das übersetzte, was schamhaftere Forscher bisher weggelassen
haben.«
»In Karnak trifft er am 6. März 1850 einen
Lord Stanhope, vermutlich Philip Henry Stanhope, dessen Familienname zu
der Zeit eine gewisse Berühmtheit aufweist, denn seine Tante war die
legendäre Queen of the East, Lady Hester Stanhope, die im Libanon ein
altes Christenkloster wiederaufgebaut hatte und dort Anführerin der
Räuberbanden geworden war: Sie lebte allein mit 24 Katzen - für jedes
Tierkreiszeichen zwei - und starb mittellos, die nackte Leiche wurde
verlassen in einem Zimmer voller Unrat gefunden. Bis zur letzten Stunde
bot die Lady der auch schon damals nicht zimperlichen englischen
Skandalpresse reichlich Futter.«
Bis nach Abu Simbel
und zum nördlichsten Nilkatarakt drang er vor, zur Insel Elephantine, an
der heutigen ägyptisch-sudanesischen Grenze, am heutigen
Assuan-Staudamm.
Das Leben in Ägypten war billig, aber
Geld verdient hatte Dulk dort nicht, und zu Hause warteten zwei Frauen
und drei Kinder auf ihn - also wieder zurück nach Europa.
Mit
drei Frauen und mehreren Kindern lebte er zunächst in einem Haus bei
Vevey am Genfer See, seit 1858, der wachsenden Finanznot folgend, im
billigeren Stuttgart: »Im Bohnenviertel gründet die Familie die erste
Kommune Deutschlands. Eine Frau kümmert sich eine Woche um die Kinder
und den Haushalt, die beiden anderen Frauen dürfen schreiben, danach
wird abgewechselt. Nach außen herrscht in dem polygamen Haushalt in der
Rosenstraße eitel Sonnenschein, aber nach innen hin, wie die Briefe
belegen, die Ilse Walther-Dulk gesammelt hat, sind die Frauen
eifersüchtig. Dennoch macht die Triade Eindruck: ›Dulk konnte diese
dreifache Ehe in Stuttgart ganz öffentlich und unangefochten
durchführen, denn es wohnte damals in dem kleinen Schwabenland die
weitherzigste Romantik Tür an Tür mit dem beschränktesten Spießertum‹,
schrieb die Schriftstellerin Isolde Kurz.« Der Braunschweiger
Schriftsteller Wilhelm Raabe machte Dulk zum Helden seines
Schlüsselromans »Abu Telfan oder die Heimkehr vom Mondgebirge«.
Die
Kommune scheiterte, Dulk zog 1871 nach Untertürkheim, verlor beim
Börsenkrach 1873 sein letztes Geld. Für die Behörden hatte er nie
aufgehört, ein Ärgernis zu bleiben. »In den Sommermonaten lebt Dulk in
einem alten Waldarbeiterhaus in Esslingen, das heute Dulkhäusle genannt
wird, um zu schreiben.«
1884 raffte ihn 62jährig ein
Schlaganfall auf offener Straße dahin. »Im Alter von 85 Jahren vermachte
Ilse Walther-Dulk den schwarzen Kasten, die Tabakspfeife und die
Erinnerungen an die berühmteste Hure Ägyptens dem Literaturarchiv in
Marbach, ebenso die Briefe mit dem Entwurf des Flugapparates, den Albert
Dulk en passant erfunden hatte.«
Das Dulkhäusle in Esslingen
(Artikel: R. H. für U. Stolte; Bilder: Wikipedia)
(8.3.2011)
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